Als alle großen Medien im Oktober weltweit über Paul R. Milgrom (72 Jahre) und Robert B. Wilson (83 Jahre) berichteten, ist hoffentlich auch ein Ruck durch die Einkaufsabteilungen gegangen. Warum? Die beiden US-Ökonomen von der Universität Stanford haben für ihre Auktionstheorien und -formate den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhalten. Von den Forschungen hätten weltweit Verkäufer ebenso profitiert wie Käufer und Steuerzahler, ließ die Jury der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften in Stockholm verlauten. „Kaum eine ökonomische Idee hat sich als so nützlich erwiesen wie die Auktionstheorie“, textete die Frankfurter Allgemeine am 12. Oktober 2020. In den Erwähnungen kam indes der Einkauf zu kurz – dabei ist diese Abteilung heute die primär handelnde bei vielen Auktionen.

 

 

Blick zurück

1993 hatte die US-Regulierungsbehörde für Telekommunikation den maßgeblichen Standard gesetzt, als erstmals Telekommunikationsfrequenzen versteigert wurden – beruhend auf Milgroms und Wilsons Gedankengerüst. In Deutschland waren 2019 Deutsche Telekom, Drillisch, Telefónica und Vodafone bereit, insgesamt 6,55 Mrd. für die 5G-Frequenzblöcke zu zahlen. Zwölf Wochen hatte die medienwirksame Versteigerung gedauert. Doch es geht auch ein paar Nummern kleiner. Die Auktionsmodelle wurden über Jahre hinweg hinweg schrittweise weiterentwickelt, diversifiziert und auch verstärkt in das Ressort Beschaffung hineingetragen. 

Der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) bewies bereits 2006 Weitsicht, als man dem damaligen Doktoranden Thomas Germer von der WHU – Otto Beisheim School of Management (Vallendar; Lehrstuhl Prof. Dr. Lutz Kaufmann) den BME-Wissenschaftspreis zuerkannte. Germer (später CPO bei Axa und Ergo) hatte als einer der Ersten im Einkaufsumfeld Methoden und Spielregeln von Beschaffungsauktionen detailliert unter die Lupe genommen. Viele seiner Erkenntnisse gelten noch heute.

Beispiel: „Überzeugende Software oder ein spieltheoretisch ausoptimierter Auktionsaufbau hilft nicht weiter, wenn der Einkäufer die Auktion nicht oder falsch einsetzt, weil er Angst hat, wegen der hohen erwarteten Einsparungen kritische Fragen zu seiner bisherigen Leistung zu bekommen. Diese Angst vor Savings ist ein weitverbreitetes Phänomen. Die Einkaufsleitung muss die Erwartungen der Geschäftsführung steuern und richtige Anreize für das Team setzen.“ – Mehr in der „Beschaffung aktuell”

Elektronische Auktionen sind heute großen (Industrie-)Unternehmen an der Tagesordnung, etwa in der Automobilindustrie oder auch bei der Deutschen Bahn. Viele kleinere Unternehmen haben indes noch Nachholbedarf.

 

KMU noch immer zögerlich

So manches KMU tut sich noch schwer mit dem „Verhandlungsmechanismus neuen Typs“ – und das auf Einkaufs- als auch auf Anbieterseite. Und auch bei den öffentlichen Beschaffern läuft in Sachen Einkaufsaktion intern längst nicht alles so reibungslos, wie man es nach außen glauben machen will. Wenn sich Abteilungschef- oder -chefin nicht eindeutig zum angeschafften Tool bekennen und dessen Nutzung konsequent vorantreiben, dann verspüren auch eingebundene Mitarbeiter wenig Motivation, sich vom zumeist noch manuell geprägten Terrain wegzubewegen. Dem einen oder anderen Lieferant tut man dann sogar einen Gefallen, wenn man ihn nicht in elektronische Gefilde rund um Aktionen und Ausschreibungen drängt.

 

An Methoden mangelt es nicht

Jenseits des menschlichen Faktors gibt es keinen plausiblen Grund, sich der (nicht mehr ganz neuen) Methodik zu verschließen. Egal, ob englisch-reverse, niederländische oder japanische Auktion: Jede Variante hat ihre Berechtigung – sofern man die Vorteile im Hinblick auf das eigene benötigte Reservoir erkannt hat. Heißt: Es gilt sich im Vorfeld genau schlau zu machen, welche Warengruppen für eine Aktion in Frage kommt und welches Modell geeignet ist, Einkaufspreise maßgeblich beeinflussen zu können. Mit dem richtigen Instrument lassen sich im Schnitt 10% und mehr Einstandskosten und Prozesskosten sparen. Vorausgesetzt, man kann seine „Masse“ und die damit einhergehenden Leistungen genau beschreiben, man bietet ein ausreichend attraktives Volumen (ideal: ab etwa 200.000 Euro) und man ist überdies gewillt, auch von den Geboten bisher unbekannter Lieferanten zu profitieren. Potenzielle neue Geschäftspartner dürften dementsprechend motiviert beim Mitbieten agieren. Wird die Klaviatur der elektronischen Einkaufsauktion erst einmal beherrscht, reichen wenige Stunden Aufwand für einen Prozess, der Mitarbeiter früher mehrere Tage oder gar Wochen beschäftigte – besser: blockierte.

 

Wettbewerb nutzen

Überlegen Sie: Wo könnten Sie von einer echten Wettbewerbssituation durch eine Auktion profitieren? Das Prinzip kann schon bei zwei konkurrierenden Anbietern funktionieren. Je mehr Wettbewerber, desto höher Bieterdynamik und Preisdruck. Dabei sollten Sie nicht allein auf den reinen Preis abzielen. Kriterien können z.B. auch Zahlungsziele, Risiken, Qualität, Logistik oder Bonus-Malus-Regelungen sein. Lassen Sie sich dabei helfen. Dienstleister sollten Ihnen ein adäquaten automatisierten Auktionsbaustein mit Auktionsbegleitung anbieten. Ihre Mitarbeiter müssen sich schnell mit dem neuen Instrument anfreunden können. Nicht jeder schreit gleich „hurra“, wenn sich „liebgewonnene“ Lieferanten nun in einer Auktion beweisen müssen. Lassen Sie die Finger von sperrigen Lösungen, damit Sie keinen Vorwand für Ablehnung oder Verzögerungen liefern. Also: Bevor Sie sich für einen Dienstleister bzw. ein bei anzudockendes Tool entscheiden, gilt es alle Fragen hinsichtlich der Nutzungsintensität zu klären. 

PS: Online-Auktionen sind auch dann attraktiv, wenn die Wirtschaft unter Druck steht – also auch derzeit.

Auszug aus dem „Basis-Kommunikationspapier Information über die Strukturierte Vergabeverhandlung“ der Deutschen Bahn: „Neben der effektiveren Preisfindung haben Auktionen zusätzlich den Vorteil, dass sie die interne Transparenz über Vergabeentscheidungen deutlich verbessern. Anders als bei separaten Lieferantenverhandlungen dokumentiert das Auktionsergebnis eindeutig, warum ein einzelner Lieferant einen Auftrag erhalten hat. Somit steigt die Revisionssicherheit im Einkauf.“ 

Praxisbeispiel Metallurgie

Ein Unternehmen der Metallurgie aus Niedersachsen hat große Bedarfe an chemischen Hilfs- und Betriebsstoffen wie Natronlauge, Schwefel- und Flusssäure. Bisher wurden diese Bedarfe immer in Verhandlungen mit einem überschaubaren Bieterkreis an mehrere Lieferanten vergeben. Diese hatten sich in der Vergabesituation bequem eingerichtet; man hatte sich den Kunden quasi aufgeteilt. Bei der Commodity Schwefelsäure wurde dieses Szenario testweise aufgebrochen. Weil es genug Angebot im Markt gab, war das Risiko überschaubar. Nach dem Check möglicher Auktionstypen wurde eine dynamische Auktion gewählt. Den Anbietern wurde der aktuelle Rang ihres Angebots anonymisiert angezeigt. Wichtig war dem Einkauf, dass zusätzlich zu den bestehenden Lieferanten ein neuer Player aufgenommen wurde. Unter den fünf teilnehmenden Anbietern entbrannte ein heftiger Preiskampf. Ergebnis war eine Kostensenkungen von rund 17%, ohne Nachteile bei den Kriterien Logistik, Qualität und Zahlungsbedingungen.